Dreifach gelebt
Anneliese Schmidt-Schöttler, Bildhauerin und Herbergsmutter in Finnentrop-Bamenohl.


Es war irgendwann in den späten 60ern. Jupp Schöttler, der Erbauer der privaten Jugendherberge in Finnentrop-Bamenohl, sandte einen Lockruf nach Münster. Dort wohnte und arbeitete die Bildhauerin Anneliese Schmidt in ihrem Atelier. „Du sitzt einsam an deinem Feuerchen“, soll er gesagt haben, „und ich sitze einsam an meinem.“ - Denn Herbergsmutter Agnes Schöttler war einige Jahre zuvor gestorben. „Warum legen wir nicht beide Feuerstellen zusammen und wärmen uns gemeinsam dran?“

Kein leichter Entschluss für die Künstlerin, die längst im Lande ihre Kreise zog. Künstler ist man nicht „nebenbei“ und Herbergsmutter auch nicht, und die Partnerin eines „Kerels“ wie Jupp Schöttler schon gar nicht. Das würden drei ganze Leben, gleichzeitig, ohne Wenn und Aber und bis zur Neige. War das zu schaffen? Küche und Atelier, Hausverwaltung und künstlerische Großprojekte, Jugendgruppen, Schulklassen, Wanderer und die ewige Sehnsucht nach Stille und Konzentration? Und dies alles neben einem Hartschädel, der mit der Ungeduld eines Teenagers für eine Zukunft säte, die er selbst nicht mehr ernten würde? - Unmöglich!

Anneliese Schmidt sagte Ja und hieß nun Schmidt-Schöttler, - und lebte ihre drei Leben, Stunde um Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr. 1920 war sie in Elkeringhausen bei Winterberg geboren. Volksschule, Handelsschule, Bürolehre. Dann wurde sie sich ihrer künstlerischen Begabung bewusst, nahm Zeichenunterricht, besuchte die Tombrock-Schule in Dortmund. Sie wurde Meisterschülerin von Karel Niestrath, biss sich durch die Hungerjahre der Nachkriegszeit. In Münster besuchte sie die Werkkunstschule, lernte bei Kurt Schwippert und Karl Ehlers. Bald hatte sie ihr eigenes Atelier und bekam große Aufträge. 1969 wechselte sie in die Killeschlade von Bamenohl.

Das Fachwerkhaus aus selbstgemachten Lehmziegeln war schon so mancherlei, Herberge und Jugendtreff, Galerie und Bibliothek, Konzertsaal und Forschungsinstitut, Hörsaal und Werkstatt, Kapelle und Einsiedelei. Jetzt wurde es auch noch Atelier mit Drehtisch und Brennofen, mit Staffelei und Hauklotz, ein geheimnisvolles Biotop für Ideen und Formen, für Geist und Materie. Hier entstand ein kaum überschaubares Lebenswerk aus Holz und Wachs, aus Stein und Bronze, auf Papier und Leinwand. Täglich kamen Gruppen, Vereine, Seminare und fanden freundliche Geborgenheit. Einzelwanderer streckten die müden Füße, Familien lernten sich kennen, Schulklassen testeten die Statik des Hauses bis an den Bruchpunkt, Kunstfreunde schlossen Freundschaft, Gottsucher kamen und kamen immer wieder. Wenn irgendwo, so mochten sie denken, dann finden wir ihn hier...

Wer das Haus betrat, war vom Fleck weg daheim. Er fand, worauf es ankam: Ein trockenes Dach, ein warmes Bett, eine Mahlzeit und ein gutes Wort. Und morgens früh zum Wecken ein Lied. Er fand eine Insel der Toleranz und der Humanität, ein Kraftwerk für Pläne und Projekte und gelegentlich am Winterabend einige Raummeter Stille, in der die Pendeluhr zuversichtlich ein Stück der Ewigkeit zählte.

Jupp Schöttler starb, und so einfach stirbt sich’s nicht für einen, der wie kein zweiter am Leben hing. Anneliese Schmidt-Schöttler blieb was sie war. Ringsum ging man mit 60 oder 65 in Rente und Ruhestand. Hier war und ist daran nicht zu denken. Täglich stehen Gäste vor der Tür, so selbstverständlich als seien sie am Ziel. Eine kleine, unheimlich starke Frau begrüßt sie lächelnd als hätte sie auf niemand anderen gewartet und hört ihnen zu, als seien sie jetzt und hier der Mittelpunkt der Welt. Morgen gehen sie weiter und gehen doch nicht so ganz.

Am 26. März 2005 beging Anneliese Schmidt-Schöttler ihren 85. Geburtstag. Ringsum im Land leben die Menschen mit ihren Kunstwerken, Brunnen, Tabernakel, Mahnmal oder daheim mit Kleinformaten von großem Format. Aber mehr als das: Ihr ganzes Leben ist das „soziale Kunstwerk“, von dem Joseph Beuys immer sprach. Ein großes Dankeschön an diese Frau. Glück muss man ihr nicht wünschen. - Sie hat es schon.